MISCHPOKE II
Wie klingt die Musik der Zukunft? Bei der derzeitigen Hype-Situation denkt man sogleich an KI. Eine künstliche Intelligenz, die die Geschichte der Musik so kennt wie die Geschmäcker von Millionen und Abermillionen Menschen, sortiert nach Alter, Geschlecht, Weltgegend oder Bildungsgrad. So wird jeder genau die Musik bekommen, die irgendwie schon in ihm oder in ihr ist. Neu und doch vollkommen vertraut. Alexa-Musik. Laaangweilig.
Aber genau so klingt die Musik der Zukunft nicht. Denn KI - sie mag als „Partner“ hoch interessant sein - arbeitet immer mit dem Vergangenen, dem Bewährten, dem Mainstream-Codierten. Vielleicht kann sie auch anders, aber dazu fehlt es an ökonomischen Interessen und ein bisschen vielleicht noch an kritischer Theorie.
Die Musik der Zukunft jedenfalls ist eine Musik in Bewegung, eine Musik, die sich permanent selbst verändert und in die man demokratisch, anarchisch, solidarisch oder kritisch eingreifen kann. Musik, die nicht bestätigt, sondern provoziert. Ein Film, in dem übrigens „Oval“ als Act auftritt, aus dem Jahr 1996, trägt den passenden Untertitel: „Über die Gewalt des Zusammenhangs“.
Die Zukunft in der Musik hörbar machen, heißt, sie so zu hören (und entsprechend zu bearbeiten), dass in ihr das Mögliche zum Vorschein kommt. Mix und Re-Mix sind dafür die geläufigen Genre-Begriffe. Allerdings scheint das Wort vom „Mischen“ und „Neu Mischen“ fast ein wenig zu sanft für das, was in der Tat geschehen kann.
Mischpoke. Das bedeutet, wenn man das Wort beim Wort nimmt, eine Verbindung von Mischen und Verwandtschaften. Und dann gibt es darin noch den (entscheidenden?) Stoß, den Knuff (poke), mit dem man einem Ding oder einem Wesen in Bewegung eine andere Richtung gibt. Jetzt also:
Mischpoke #2
Diesmal sind dabei als die Verändernden:
Oval alias Markus Popp, Im Hörspiel „Ovalorama“ beschäftigt er sich mit dem Zusammenhang von Geruch (hier besser: Duft) und Musik. "With an undeniable instinct for the pleasantly irritating, the drastic and the dreamy, Oval continues to inspire and provoke to this day“. So heißt es auf der Webseite, und wenn es nun mal stimmt, soll es auch so sein. Es ist die Sache mit dem Träumen, dass das Schrecklichste im Schönsten aufscheint und umgekehrt. Haben Träume eigentlich Soundtracks?Auf jeden Fall sind Soundtracks die Träume von visuellem, narrativen oder eben olphaktorischem Geschehen.
Clark bzw, Chris Clark ist von hause aus Violinist und Komponist von Filmmusik, darunter für den Mytery-Thrilller „Daniel Isn’t Real.“, die Geschichte eines „imaginary friend“, der furchtbar real wird. Die Geschichte von Clark ist die eines Solipsisten, der sich nach und nach der Kollaboration öffnet. Und die Geschichte eines Elektronikers, der nach und nach die Klänge „alter“ Instrumente für sich (wieder) entdeckt.
Electric Indigo - Susanne Kirchmayr - erweitert ebenfalls ihre kompositorische Arbeit von Konzertsaal und Club hin zum Theater zum Beispiel für„Phädra in Flammen“ (2023) am Wiener Akademietheater, eine non-binäre Übermalung des altgriechischen Mythenstoffs. Die Gründerin des international female:pressure-Netzwerks zur Unterstützung von female, non-binary and transgender artists in der elektronischen Musik bewegt sich von früheren Computer-basieter Musik zur Arbeit mit modularen Synthesizern, um sich auch im Konzert über das „Pre-Fabrizierte“ hinweg zu setzten. Es geht eben darum, die Dinge immer weiter in flüssige Bewegungen zu bringen. Flüssig wie Wasser, das über Steine tanzt.
Gudrun Gut hat einst mit DIN A TESTBILD und MANIA D. die Türen zwischen Punk und Kunst aufzumachen geholfen. Und auch das muss einem erst einmal einfallen: Vogelmixe – Gudrun Gut Remixes Heimatlieder aus Deutschland Berlin/Augsburg (2016). Alles kann anders werden - mehr Demokratie braucht die Kunst nicht.
Vier extrem interessante Musiker*innen intervenieren und spielen mit vier extrem interessanten Musikstücken. Zum Verbindenden dabei gehört das hohe Maß an Reflexion und Selbstreflexion und die Offenheit gegenüber den verschiedensten Einflüssen, Stilmitteln und Techniken.
Die Veränderbaren:
Axel Ganz, aka Pondskater arbeitet an einem Prozess der „Transparenz“ oder „Sichtbarkeit“ von Musik und Interaktionen. Was passiert beim Musik-Machen? Was passiert beim Musik-Hören? Vergleichsweise hinreichend behandelt. Aber was passiert in der Musik? Auch er hat für Film und Theater gearbeitet, und eine enorme Bandbreite an musikalischem Material bearbeitet. Das Music Coding ist für ihn nicht der smoothe und „perfekte“ Teil des Musikmachens, sondern zugleich Objekt der Forschung. Wohin will ich mit der Musik? Yeah. Und wohin will die Musik mit mir?
Tidy Kid mag spielen. Er macht Musik wie man malt und malt wie man Musik macht. Es ist Musik, die von seltsamen, aber nicht willkürlichen Dingen perforiert ist. Wahrscheinlich wäre Tidy Kid der ideale Komponist/Performer für eine neue, dekonstruktive Version von „Alice in Wunderland“.
Ai ist das, was Krautrock ist, wenn es kein Kraut und keinen Rock mehr gibt, eine Transformation ins Universale und Flüssige. Man ist unterwegs in vielen Richtungen von Jazz bis Elektronik, und in der Welt sowieso, um das Substantielle herauszufinden. Vom Krautrock bleibt, dass das manchmal harte und zähe Arbeit ist.
„Wenn der Prozess einmal in Gang gesetzt ist, dann läuft er für sich selbst ab“, so könnte man, frei nach Steve Reich nennen, was bei Installationen von The Visitor geschah. Der Kunstwelt als Maler und Schüler von Gerhard Richter nicht fremd, kennt seine Musik bisweilen eine ähnliche photorealistische Tiefenschärfe, so sehr Science Fiction wie Gegenwart.
Gudrun Guts Mix von „Installation 1“, um mit dem letzten Track des Albums zu beginnen, scheint am nächsten einem akustischen Film; obwohl es immer wieder rhythmisch treibende Passagen gibt, geht es nie nur vorwärts; man sieht sich gewissermaßen um in sehr unzuverlässigen Räumen, bevor es mit „Der Besuch“ eine Sporen-Ebene gibt, Da erfahren wir, was wir möglicherweise schon ahnten, dass es nämlich um einen geht, der anstrengend aber freundlich ist, vielleicht. Man begegnet sich, und dann ist es auch wieder vorbei. Mit einem letzten „Yes“ wird der Abschied vollzogen. Ein Besuch, der nachhallt. Ich fange an, darüber nachzudenken, was das eigentlich ist: „Ein Besuch“. Ein Subjekt in einem anderen Raum, mit den Möglichkeiten von Freundlichkeit und Anstrengung. Bei einem Besuch ist nichts selbstverständlich. Sonst wär’s ja kein Besuch, sondern bloß ein Da- und Dabei-Sein. Jeder Besuch ist eine Krise.
Electric Indigos Remix von „Aruki Ikura“ entblättert das Original, ohne eine spöttische Krautrockigkeit, ein fernes CAN-Winken zu unterdrücken. Der Bass sagt, dass es wo lang gehen muss, und die Bells sind wie euphorisierte Kinder, die lieber ein bisschen hin und her tanzen. Definitiv ein Feelgood-Track, mitsamt seinen wundervollen kleinen Stolperern. Und jeder einzelne Ton, jeder einzelne Klang ist für sich hörbar. Die Musik eines Spaziergangs, vielleicht über den Wolken.
„I lost my mind“ heißt natürlich nicht umsonst so. Die Führung übernimmt die Stimme eines uralten Videospiels, in dem vermutlich Mäuse vor Elefanten fliehen müssen, oder umgekehrt. Wir erinnern uns: Es gibt keine Pausen, man muss unbedingt in Bewegung bleiben. Und dann kommt sie doch, die Pause. Das Spiel hat sich verändert. Es kommt nicht mehr recht in Gang, stattdessen Stimmen aus einer anderen Sphäre. Aus einer anderen Klangwelt. Auf welche Seite wird man sich wenden? Und zum dritten mal geht die Bewegung des Jump and Run los. Kurz. Eine kindliche musikalische Grundstruktur gerät in ein mysteriöses Ambiente. Man muss reagieren, so oder so. Fast wie im wirklichen Leben. (Aber natürlich kann man sich auch eine ganz andere Geschichte dazu denken, die zu einem kurzzeitigen Verlust des Verstandes passt.)
Zuletzt das erste Stück, „Reverse Interlock“, bestens geeignet zum Einsteigen in eine Mischpoke- Reise, man könnte glatt „Loslegen“ oder „Aufbrechen“ darüber schreiben.
Elektronische Musik im allgemeinen, Remixe im besonderen, und im besondersten „Mischpoke“, das ist auch eine Form des Geschichtenerzählers, der Erfindung und Kritik der fundamentalen Dinge darin: Raum. Zeit. Subjekt. In die Zukunft hinein erzählen. Mit Musik. Darum geht es. Unter anderem.