rhein bestehen aus Johannes Rix (synth) aus Köln sowie Jürgen Krause (virtual instruments) und Peter Michael Witt (guitar & virtual FX) aus Düsseldorf. Zuvor hatten Jürgen Krause und Johannes Rix 2006 ihr Album „this first day“ unter dem Namen fern auf dem Internet-Label autoplate präsentiert, was die Aufmerksamkeit von Kritikern und Publikum auf sich zog. 2011 stieß Peter Michael Witt dazu. Die drei spielten bald live (z. B. im Barinton in Köln, im Salon des Amateurs in Düsseldorf) und verfeinerten den Sound in ihrem Studio. Ihr Zusammenspiel gipfelte 2018 im Erscheinen der LP „takes“ auf Hauch Records.
Die ehemals in Köln lebende DJ Lena Willikens spielte Auszüge aus der LP Takes von Rhein in ihrer monatlichen Sendung „Lightning Conductor“ bei NTS in der Episode vom 25.07.2018, zudem den Titel „verlauf“ aus der zweiten
LP „spiel“ in der
Episode vom
14.10.2020.
Zudem gab es eine Videopremiere mit kurzem Interview beim Kölner Kaput-Mag.
Die zweite LP „spiel“ erschien am 8.10.2020, begleited von der Single „eröffnung“. Parallel an dem Tag die Kassette „300_1“ mit der Single „Fünf“.
Text von Georg Seeßlen zu „spiel“:
„A voice comes to one in the Dark. Imagine.“
Samuel Beckett
Der Rhein ist ein langer aber nicht wirklich immer ruhiger Fluß, der von der Schweiz bis in die Niederlande so einiges mit sich führt und an etlichen Musik- und Kunst-affinen Städten vorbei führt. Vielleicht weil die genuine Musik, die an den Seiten des Rheins, nicht nur, aber vornehmlich in Deutschland der Brauch ist, von empfindsameren Menschen nicht einmal im Zustand der Volltrunkenheit zu ertragen ist und weil das, was man den „rheinischen Kapitalismus“ nennt, selten über’s „Trink doch einen mit“ hinaus akzeptabler war als sein angelsächsisches Pendant, tendiert man hier zu Experiment, Radikalität und Eigensinn. Da hilft nur eine gewisse Härte. Was vollkommen deutlich scheint, wenn man sich KRAFTWERK oder NEU! nennt. Ein Projekt hingegen, das einfach rhein betitelt ist, führt die Assoziationen erst einmal ins Fließende und Mäandernde, ins An- und Abschwellende vielleicht, was eben auch ältere Flüsse so treiben, wenn die Zeit vergeht.
Der Name ist ebenso mythenträchtig wie die Herkunftsorte der Band. Köln (Spex-Ort dereinst, das waren noch Zeiten!) und Düsseldorf (zwischen Ratinger Hof und Kunstakademie) waren und sind auch die Spiel- und Arbeitsorte von Johannes Rix (Synth), Jürgen Krause (Virtual Instruments) und Peter Michael Witt (Git. und Virtual Instruments). Virtual Instruments oder auch Software Instruments sind Programme zur Klangerzeugung, die man ebenso eigenständig spielen wie in Sequencern oder einer Digital Audio Workstation einsetzen kann. Vereinfacht gesagt heißt das: Was man im Kopf hat, kann man auch technisch realisieren, und was technisch realisierbar ist, kann auch im Kopf zu Musik werden.
Damit wird schließlich so etwas wie die Abwendung von der Abwendung möglich. Der zeitweilige Erfolg und der anschließende Stillstand der rheinischen Elektronik bestand nicht zuletzt in ihrer Brauchbarkeit als Statement. Der Kling Klang öder Gebrauchsarchitekturen und der Modergeruch des Flusses; die trotzige Verzauberung des Alltäglichen; was die Punks romantisierten, das verschärften die Elektroniker. Alles ziemlich hässlich hier, aber trotzdem geil. (Und irgendwann fing man zu Kraftwerk auch schon wieder zu schunkeln an. Roboterschunkeln, that is.) Die Abwendung von der Abwendung heißt also: Die Wiederentdeckung des Schönen. Und übrigens ganz ohne Romantisierung.
Auf dem Debüt „takes“ ist der Wille, zum Ursprung zurückzukehren, zu einem Fluss der Klänge, in dem das Material und die Arbeit in der Musik noch nicht genau zu unterscheiden sind, pathetisch gesagt: Musik erst wieder für sich selbst zu erfinden, um frei damit arbeiten zu können, noch unüberhörbar. Dieser notwendige Schritt ist getan, nun muss man nichts mehr erklären oder beweisen. Selten hört man Musik, die so für sich selbst steht, wie die auf dem zweiten Album von rhein.
Was natürlich automatisch schwer macht, sie zu beschreiben. Denn das Lieblingsinstrument der Kritik ist ja das Vergleichen und Einordnen. Ich vergleiche es einmal mit einer Reise. Einer Bewegung die sozusagen mit einem Loslaß-Geräusch beginnt, dann immer neue Wendungen nimmt, neue Biegungen, hinter denen sich Überraschendes auftut, Seitenblicke und Hindernisse, sehr Bekanntes und ganz Unbekanntes, Einfaches und Komplexeres. Die Einfachheit kommt von der Art der Bewegung, die immer sehr körperlich ist, ebenso wie die Räumlichkeit an direkte Erfahrungen erinnert. Es ist, mit anderen Worten, sehr sinnliche, gewiss auch erotische Elektronik. Und sie hat die Gelassenheit, die man bekommt, wenn man sich seiner Sache sicher ist.
Es gibt verschiedene Arten und verschiedene Funktionen für „gute Musik“. Eine davon ist es, Zuhörerinnen und Zuhörer an eine Grenze zu begleiten, irgendwohin, wo man noch nie war, aber was man schon, irgendwie, in sich hatte. Was übrigens nicht nur grammatisch ein ziemlich unmöglicher Zustand ist. Das funktioniert deswegen nie über eine bloße Behauptung. Musik an der Grenze muss die Musikgeschichte in sich haben, deren Beschränkungen man überwinden will. So hört man hier beständig Fragmente dessen, was man hinter sich lassen will. Wenn man noch einmal die Fluss-Metapher bemühen will: Ein Fluss lässt einem, im Gegensatz zu anderen Reisemöglichkeiten, die Zeit, zugleich zurück und nach vorn zu schauen.
Natürlich kann man die Musik auch ganz anders verstehen, zum Beispiel als eine Art Hörspiel, in dem dramatische Signale, Konflikte und Aktionen eine Art der Ur-Handlung, noch vor einer „Story“ beschreiben. Oft genug bauen sich die akustischen Geschehnisse aus Dualitäten auf, Ton und Gegenton, Klang und Gegenklang, Raum und Gegenraum etc. Vielleicht ist dies der Beginn der Musik, dass zwei Klänge, die jeweils an der eigenen Reinheit arbeiten (die zum Ton werden wollen), bemerken, dass sie eine Beziehung zueinander haben; aus zwei werden drei usw. Und dann: Dass sich diese Beziehung nicht in der akustischen Leere, sondern in einem Ambiente entfalten muss, in Bedingungen und Folgen, in Zustimmungen und Ablehnungen, in Dimensionen und Störungen. Ursprünglich (an einem Ort, den wir uns eigentlich nicht mehr vorstellen können) hat es zwischen Musik, Bild und Drama keinen Unterschied gegeben. An diesem Ort konnte man einem Ton oder einem Ton-Zusammenhang folgen wie einer Figur auf einer Bühne, und man konnte ein Bild in seine Klänge zerlegen. An einen solchen Ort fühlt man sich versetzt in der Musik von rhein.
Das ist immer beglückend aber nicht immer „harmonisch“ (im Sinne von zufrieden-machend), denn die Entstehung von Musik aus Klang wird hier nicht nur in die eine Richtung verfolgt; oft geschieht es auch, dass umgekehrt sich die Mathemagie von Musik in organisches Geschehen und ein virtuelles Field Recording auflöst. An den Übergängen gibt es Zustände der Gefährdung, vom Verlust des sicheren Standes, schließlich gibt es keine Luft, in der nicht immer auch etwas Bedrohliches liegen könnte. Aber rhein führen einen mit einer gewissen Verlässlichkeit auch wieder Zurück in die Ruhe der Kontemplation. Sie lassen alles gut ausgehen; die Musik hat den Zorn wie den Heroismus hinter sich gelassen.
Anders als beim Vorgänger kann man die Tracks dieses Albums auch als Miniaturen genießen. Skizzen von moments musicaux, die deutlich voneinander abgesetzt sind, und die das Wesentliche festhalten wollen noch ohne den Zwang einer Gesamtkonzeption. Versuche sind das: Was passiert, wenn drei Töne durch ein wechselndes akustisches Ambiente bewegt werden? Wenn Sie sich dabei entfernen oder parallel bewegen? Bemerkenswert scheint mir: Alle diese Versuche laufen auf ein Ende der Entspannung und der Ruhe hinaus ohne dass es sich um eine klassische Auflösung handeln muss. Das gibt dir die Chance, mit dem Gehörten umzugehen wie mit einem Instrument, das nicht gedacht war, dich zu überwältigen oder zur Unterwerfung zu bringen. Die Reise zu Ursprüngen der Musik wird mit Leuten unternommen, denen du trauen kannst, und die nie behaupten, viel mehr zu wissen als du. Sie teilen die Erfahrungen und Überraschungen. Ein Staunen auch. Weil sich immer etwas „auftut“. Und die größte Überraschung von allem immer noch in Einfachheit und Klarheit besteht. Sie ist nur nicht „gegeben“, man muss sich zu ihr hinbewegen.
Man könnte die Musik von rhein in einem positiven Sinn „naiv“ nennen. Drei Kinder, die mit der akustischen Schöpfung spielen. Wo vieles „wie zum ersten mal“ klingt, und manches so lange ausprobiert werden muss, bis man weiß, wie es funktioniert. Aber zugleich ist da auch dieser endlos wachsende Raum, der darauf hinweist, dass alles, was beginnt auch irgendwohin verschwindet. Die Musik ist wie das Universum: Während sie sich ausdehnt, schafft sie erst den Raum, in dem allein sie „verstanden“ werden kann. Sie erzeugt ihre eigenen Dimensionen.
Je weiter die Geschichte der Musik fortgeschritten ist (den Unterschied zwischen Pop und E- können wir uns nun wahrlich schenken), desto mehr muss sie sich fragen, woher sie eigentlich kommt und aus was sie eigentlich besteht. Das ist ja auch das große Paradoxon der elektronischen Musik, dass sie immer maschineller werden muss, damit sie immer körperlicher werden kann. Man muss daher die Musik von rhein nicht allein mit den Ohren und dem Kopf, sondern mit dem ganzen Körper, vielleicht noch mehr: mit der ganzen Biographie hören. Was wiederum bedeuten mag: Dein Hören ist nicht genau mein Hören, doch in der werdenden Musik steckt die Sehnsucht danach, dass es genau das ist: das Zusammen des Unterschiedlichen. (Damit begann, nebenbei gesagt, vielleicht mit Mozart, die Geschichte der modernen Musik, die sich vom „göttlichen Willen“ hin zum Subjekt bewegt und jetzt vielleicht sogar: darüber hinaus oder tiefer hinein, wie man es nimmt.)
Die Musik von rhein ist von großer Einfachheit und Klarheit. Sie macht einem beim Hören nichts vor. Immer kann man mitdenken und -fühlen. Alles, was an Material, Methode und Stil verwendet wird bei diesen sieben musikalischen Momenten, wird ohne Trick und ohne Verschleierung vorgeführt. Ohne Bombast und ohne Destruktionslust. Es ist Musik, mit der man lernen kann. Die Musik-Machen und Musik-Hören auf Augen- (oder eben Ohren-) Höhe betreibt. Diese Musik ist auf ehrliche Weise schön und auf schöne Weise ehrlich.
Text von Michael Wenzel zu „takes“:
Wenn eine Band sich nach dem mythenumrankten Fluss benennt, ist das mutig. Der Überbau lastet schwer und verpflichtet zur Kunst. Zwar geben die Musiker Jürgen
Krause, Johannes Rix und Peter Michael Witt an, den Namen wegen ihrer Wohnorte Köln und Düsseldorf gewählt zu haben. Das mag so sein, ist aber vielleicht nur der offensichtliche Teil der
Geschichte. Sind nicht die Stromkilometer zwischen der Domstadt Köln und der Rheinmetropole Düsseldorf eine Art Mississippi-Delta der elektronischen Musik? Jener kulturell fruchtbare Abschnitt
des Flusses, der zuerst den Krautrock und danach das gebar, aus dem im fernen Detroit und Chicago das geformt wurde, was heute Techno und House genannt wird? Rhein ist die Ursuppe der
elektronischen Musik.
In Rhein schwingt immer das Wort rein mit. Hörbar pflegt die Band das Ursprüngliche. Ihre beiden ‚takes‘ sind Momentaufnahmen einer Musik in statu nascendi: Purer
Klang. Kein Schnitzler, kein Rother, kein Hütter/Schneider, die anklingen. Keine Melodien oder Rhythmen, die eine Interpretation anbieten. Wenn die Flächen, das Pulsieren der Synthesizer auf der
Suche nach synergen Elementen und nach Harmonien auf Gitarrenfragmente treffen, ist Rhein im Fluss: Aus der Dreizahl entsteht die Vielfalt zwischen flachem Rinnsal und tiefgründigem, unbändigem
Strom. Wie der Namensgeber ist Rhein unberechenbar. Rhein tritt aus dem Bett der digitalen Hörgewohnheiten hinaus, gibt dem Klang den verdienten Raum und überrascht den geneigten Hörer mit einem
psychedelischen Erleben von Musik.
Rhein ist Schönheit.